Strategisches Risikomanagement – eine Bestandsaufnahme
Durch jüngste Ereignisse wie die Finanzkrise und die Erdbebenkatastrophe in Japan ist das Risikomanagement in multinationalen Unternehmen branchenübergreifend verstärkt in den Fokus gerückt. Unternehmen, die einen echten strategischen Ansatz zum Risikomanagement verfolgen, sind jedoch nach wie vor eher die Ausnahme denn die Regel. Und dies obwohl die Bedeutung eines guten strategischen Risikomanagements für den Erfolg und das Überleben des Unternehmens von vielen Führungskräften sehr wohl anerkannt wird. Zu diesem übereinstimmenden Ergebnis kommen zwei unabhängige Studien, die 2010 und 2011 von Economist Intelligence Unit (EIU) und Harvard Business Review Analytic Services (HBRAS) durchgeführt wurden. Gesponsert wurden die Studien von ACE und KPMG beziehungsweise der Zurich Financial Services Group.
Ergebnisse der Studie
Die beiden Umfragen belegen, dass strategische Risiken, d.h. solche, die eine Bedrohung für die Fähigkeit des Unternehmens darstellen, seine Strategie erfolgreich umzusetzen, in den vergangenen Jahren für viele Unternehmen an Relevanz gewonnen haben. Mehr als die Hälfte der befragten Führungskräfte der HBRAS Studie (55%) zählten etwa Personalrisiken (z.B. Akquirieren und Halten von Schlüsselfunktionen) zu den höchsten Risikofaktoren. Andere in der HBRAS Studie häufig genannte strategische Risiken sind Unternehmens- und Markenreputation (50 %), Geschäftskontinuitätsplanung (49 %) und Rechtsrisiken (48 %). Die Befragten der EUI Studie gaben sogar an, dass strategische Bedrohungen, wie schwache Nachfrage und Marktschwankungen, die größten Risiken für ihre Unternehmen in den kommenden 12 Monaten überhaupt darstellten.
Das proaktive Identifizieren und Analysieren von neuen und sich abzeichnenden Risiken wird von vielen Führungskräften als eines der wichtigsten Ziele des Risikomanagements angesehen. Nur wenige zeigen sich jedoch mit der Effizienz ihres Unternehmens, Risiken zu antizipieren, zufrieden. Gerade einmal 34 % der Befragten der EUI Studie äußerten sich positiv darüber. In der HBRAS Studie waren es sogar nur 28 %.
Und auch über den Nutzen des Risikomanagements für die Qualität der Strategiearbeit sind sich viele Führungskräfte durchaus bewusst. Ein gutes Drittel der Befragten der HBRAS Studie gaben an, deren Qualität würde gestärkt durch eine verbesserte strategische Entscheidungsfindung (39%), eine verbesserte Corporate Governance (34 %) und eine erhöhte Rechenschaftspflicht des Managements (31 %).
Risikomanagement und Strategiearbeit in Unternehmen kaum verknüpft
Dennoch findet eine Integration von Risikomanagement und Strategiearbeit nicht oder nur unzureichend statt. Weniger als die Hälfte der Befragten der EUI Studie gaben an, Risikomanagement spiele eine formale Rolle bei der Festlegung der übergeordneten Unternehmensstrategie (44%) sowie bei strategischen Entscheidungen, wie beispielsweise der Evaluierung neuer Marktinvestitionen (46 %). Und nur 46 % der Umfrageteilnehmer glaubten, dass ihr Unternehmen effektiv darin sei, das Risikomanagement mit der übergeordneten Unternehmensstrategie zu verknüpfen. In der HBRAS Studie zeigten sich gerade einmal ein Drittel der Befragten von der Effizienz der Verknüpfung von Risikoinformationen und der strategischen Planung und Entscheidungsfindung in ihren Unternehmen überzeugt.
Anhaltende kulturelle Barrieren werden übereinstimmend als wichtigster Hemmfaktor für effektives strategisches Risikomanagement angesehen. Die HBRAS Studie zitiert einen Chief Risk Officer mit den Worten: „the barriers‚ are almost always cultural, not technical”. So findet das Risikomanagement in vielen Unternehmen einerseits nicht die notwendige Rückendeckung vom Management; anderseits tendieren Risikobeauftragte dazu, sich auf die operativen Aspekte ihrer Arbeit zu konzentrieren, was sie davon abhält, einen stärkeren strategischen Fokus zu bilden. Formale, strukturierte Prozesse, die einen fortwährenden Austausch von strategischen Risikoinformationen über die verschiedenen Geschäftsbereiche hinweg ermöglichen, sind oftmals nicht vorhanden. Dies aber ist Voraussetzung dafür, Entscheidungen treffen zu können, die auf einer breiten Wissenslage und einem soliden Verständnis der Sachverhalte fußen.
Die Autoren der EUI Studie kommen daher zu dem Schluss, dass das strategische Risikomanagement nach wie vor eine „unreife“ Aktivität ist. Und auch die Autoren der HBRAS Studie schätzen den Weg hin zu einer „gelebten Risikokultur“, in der Risikomanagement integraler Bestandteil des täglichen Denkens und Handelns eines jeden Mitarbeiters ist, als lang ein. Sie resümieren zu recht, dass eine spürbare Kluft besteht zwischen der von vielen Führungskräften wahrgenommenen Bedeutung des Risikomanagements für die Strategiearbeit und dem aktuellen Stand der Praxis in den Unternehmen.